Post #182: Die Dämonen der Macht (an Roger Köppel) [German]
- Daniel Pellerin

- Dec 16, 2022
- 3 min read
Updated: Jun 18
9. November 2024
„Die alten Christen wussten sehr genau,“ schrieb Max Weber in seinen Überlegungen zur Politik als Beruf im Revolutionsjahr 1918, „dass wer mit Macht und Gewaltsamkeit als Mitteln sich einlässt, mit diabolischen Mächten einen Pakt schließt.“ Die alten Christen wussten das—aber wissen wir es auch noch?
Sicher, der Mensch bleibt Mensch, auch in den Höhen und Tiefen der Politik. Wir sollten niemanden richten oder verteufeln. Nur schafft man damit die Frage nicht aus der Welt, was aus einem Menschen wird, wenn Kräfte ins Spiel kommen, die über Leben und Tod von Abertausenden, manchmal gar Millionen, entscheiden. Die alten Christen warnen uns schließlich ebenfalls aufs eindringlichste, dass es dem Menschen nichts hülfe, wenn er die Welt gewönne und doch Schaden nähme an seiner Seele. Das sollte uns zu denken geben. Die Buddhisten sprechen von der karmischen Last, die unsere Mächtigen mit ihrem zwangsläufig schadensbehafteten Tun auf sich nehmen und sehen das einerseits als einen Dienst an der Gemeinschaft; andererseits besteht der Verdienst eben gerade darin, eine unsichtbare Last zu tragen, die nicht auf die leichte Schulter zu nehmen ist.
Geheimdienstleute, Milliardäre, Machthaber und noch ein paar andere mehr, auf die wir hier nicht im einzelnen einzugehen brauchen, operieren oft in Sphären jenseits der üblichen Beschränkungen und überhaupt dessen, was für gemeine Sterbliche noch ersichtlich und nachvollziehbar ist. Was aus einem Mensch werden mag, wenn mehrere dieser Machtfaktoren zusammenkommen, und das auf Jahrzehnte—wagt man das von außen auch nur ansatzweise zu ermessen, wenn man diese Welt gar nicht kennt? Und wenn man es eben nicht einschätzen kann, wie weit sollte man dann in dieser Richtung aus der gesicherten Deckung des braven und einigermaßen unauffälligen Normalbürgers heraustreten? Natürlich folgt genauso, dass man sich eines richtenden Urteils über diese hohen Leute besser entschlagen sollte; was weiß man schon, was kann man wissen von deren seelischen Lasten oder Verdiensten? Aber dass es kaum spurlos an einem vorbeigehen wird, immer wieder eine solche Machtfülle über andere auszuüben, und zwar ohne ihr selbst zu unterliegen, das kann man sich auch aus der Entfernung vorstellen, ohne Näheres zu wissen, oder sogar wissen zu wollen.
Sofern diabolische Mächte tatsächlich ins Spiel kommen, wie von Weber behauptet, sollte es einen nicht wundern, wenn die paktierenden Menschen dann auch mit einer entsprechenden Überzeugungskraft ausgestattet sind. Gesetzt, dass es solche Mächte denn wirklich gibt, werden sie sich kaum mit jedem Hinz und Kunz einlassen, sondern sich an diejenigen halten, die auch das entsprechende Format mitbringen. Es mag auch in der Buschliga ein paar dämonische Elemente geben, aber in der Champions League wird ein solcher Einschlag doch deutlich wahrscheinlicher. “The devil is a gentleman,“ heisst es bei Shakespeare salopp, und G. K. Chesterton hat das wie folgt ausgedeutet (womit keiner verteufelt, sondern nur ein schwieriges menschliches Problem angerissen werden soll):
The Devil is a gentleman, and asks you down to stay
At his little place at What'sitsname (it isn't far away).
They say the sport is splendid; there is always something new,
And fairy scenes, and fearful feats that none but he can do.
Es versteht sich von selbst, dass es der Macht auf diesem Niveau nicht an guten Argumenten gebricht; auf solchen Höhen der Tiefe ist man selbstverständlich weltklug und versiert, man weiß sich auszudrücken, auch zu beeindrucken. Man wirkt sachorientiert und vernünftig, diszipliniert, bestens informiert, manchmal geradezu charmant, immer souverän. Und man mag auch in vielem durchaus recht haben—denn so leicht und eindeutig, wie man es in der Kinderstube lernt, verhält es sich eben nicht in der Politik. Auch das hat Weber benannt, und zwar im gleichen Zusammenhang wie oben. Wer also mit Macht und Gewaltsamkeit als Mitteln sich einlässt, für dessen Handeln ist es eben nicht wahr, dass aus Gutem nur Gutes, aus Bösem nur Böses kommen könne, sondern oft das Gegenteil. Wer das nicht sieht, ist in der Tat politisch ein Kind, meint Weber.
Gut, oder auch nicht gut, oder womöglich gar jenseits von Gut und Böse; aber was folgt daraus für uns, die wir nicht in diesen zwielichtigen Gefilden leben müssen und demnach auch nicht viel von ihnen verstehen? Daraus sollte wohl die Zurückhaltung folgen, wie ja schon erwähnt, auch wenn wir immer wieder der Versuchung erliegen, uns trotzdem aus der Ferne einen Urteilsspruch anzumaßen. Aber es folgt auch (und vielleicht vor allem) ein Gebot zur Vorsicht in anderer Hinsicht. Allzu weit sollte man sich besser nicht vorwagen, und nur sehr behutsam an den Rand brennender Abgründen herantreten, wo schon manch vermeintlich Schwindelfreier das Gleichgewicht verloren und sich üble Verbrennungen zugezogen hat. (Auch die Eiseskälte kann Brand bringen, manchmal sogar noch schlimmeren als Flammen.) Wo extreme Machtmittel selbstverständlich geworden sind und der Tod geradezu in der Luft liegt, kann man nicht frei und unbeschwert atmen; wer meint es zu können, auch den sollte man nicht verurteilen, sondern ihm nur von Herzen wünschen, dass er an diesen Brandherden keinen Schaden nehmen möge.