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Post #183: Satisfaktion (an die Weltwoche-Redaktion, zur Schweiz und ihren Deutschen) [German]

  • Writer: Daniel Pellerin
    Daniel Pellerin
  • Dec 14, 2022
  • 4 min read

Updated: Jun 18

20. November 2024

 

 Sehr geehrter Herr Köppel und Kollegen,

 

     Der kürzlich bei Ihnen erschienene Text von Michael Bahnerth zur Schweiz und „ihren“ Deutschen (7. November) ist empörend für die deutschen Beteiligten an ihrem Schweizer „Bordell,“ auch die freien und einmaligen, die da kurzerhand zu Huren erklärt werden, denen man es angeblich nicht danken muss. Das sehe ich ganz anders.

     Auch ich stehe dafür ein, unpassende oder sogar als beleidigend empfundene Meinungen äußern zu dürfen, ohne deswegen angefeindet oder ausgegrenzt zu werden. Aber diese Diskussionskultur lebt nicht nur vom Austeilen, sondern vom Austausch und der gegenseitigen Korrektur.

     Sicher, diese Meinung hat der Autor zu verantworten, aber Sie sind traditionsbewusst und wissen, dass diese Form des ehranrüchigen Witzes (wenn es denn witzig sein soll), ganz abgesehen von der öffentlichen Meinungsfreiheit, privat einmal duellfähig war. Diese alten Sitten existiert nicht mehr, und das ist gut so, aber ich denke Sie schulden der anderen Seite zumindest die Satisfaktion einer Gegendarstellung.

     Im übrigen hadere ich selbst genug mit dem Gegenwartsbefund in Sachen Deutschland, wie Sie wissen.

 

Ihr Daniel Pellerin, Bangkok


Die liebenswürdigen Schweizer und ihre Deutschen

 

     Ein Text zur “Weisheit des Herzens,“ der damit ansetzt, es könnte “womöglich ein wenig unfair und polemisch“ werden, kommt schon einmal unerwartet. Weisheiten des Herzens sollten Häme eigentlich von Anfang an ausschließen, auch wenn Schopenhauer so treffend anmerkt, dass alle Völker übereinander spotten—und alle dabei recht haben.

     Dass Deutsche (in Ausnahmefällen) auch humorvoll, klug, und tiefsinnig sein können wird ebenfalls großzügig vorausgeschickt, sogar die alten Dichtern und Denker werden kurz abgestaubt, wenn auch mit reichlich ironisierender Note. Als leidgeprüftes Mitglied dieses ungeliebten Stammes weiß man allerdings ganz gut, was als nächstes zu erwarten ist.

     Und so kommt es dann auch, und zwar heftig. Für die ach so höflichen und rücksichtsvollen Schweizer („zumindest unter Schweizern,“ wie der Text treffsicher bemerkt) ist es nämlich schon eine grobe Zumutung, wenn sie sich auf Hochdeutsch verständigen müssen—was allerdings immer noch weit erträglicher ist, als etwa mit der Unverschämtheit eines zugereisten Deutschen konfrontiert zu werden, der sich in eifriger Einfalt mit ihrem Schweizerdeutsch abmüht. Was bildet der Frechling sich eigentlich ein? Etwa in der Schweiz dazuzugehören? Wo kämen wir denn da hin!

     Der Einfaltspinsel hat da offensichtlich etwas falsch verstanden. Die Eidgenossen führen nämlich eine Art vornehmes Bordell, heißt es tatsächlich weiter (soweit keine Einwände: Geld stinkt in der Schweiz bekanntlich noch weniger als anderswo), und das „Anschaffen“ überlässt man dabei den deutschen Gastarbeitern in der Horizontalen, denen man es nicht danken muss (!), denn sie werden ja mit gutem (will heißen: mit besserem) Geld bezahlt. Es geht schließlich um edle Franken statt schnöder Euros.

     Man reibt sich die traurigen Augen, aber das steht da wirklich. Und bevor man auch nur begonnen hat, diese entzückende Sichtweise zu verarbeiten, geht es schon weiter. Man hebt kaum noch die müden Arme, denn es kommt Schlag auf Schlag in Sachen „preußische Kriegsdiktion,“ Besserwisserei, Arroganz, Ignoranz und Überheblichkeit, mit einem regelrechten Katalog an unschönen oder gar brachialen Kommunikationsformen, die den Deutschen ganz selbstverständlich in die kollektive Wiege gelegt werden. Das alles funktioniere vielleicht im Schützengraben, lautet das bestechende Fazit des Autors achtzig Jahre danach, aber nicht in der sensiblen und formsicheren Schweiz.

     Auffällig nur, dass die konkreten Misstöne, die da angesprochen werden, ziemlich derb und süddeutsch klingen. Dass das mit Preußen etwa so viel zu tun hat wie die Schweiz mit Uganda, sollte eigentlich jeder wissen, der diese Historie bemüht. Und auch darauf, dass die Blüte des deutschen Geistes womöglich besseres zu tun haben könnte, als in der Schweiz anschaffen zu gehen, könnte man kommen, wenn man den Nabel der Welt nicht gerade auf die Bahnhofstrasse in Zürich verlegt.

     Bemerkenswert zum krönenden Abschluss noch die These, dass die Assimilation dieser unappetitlichen Masse (der Bordellvergleich hinkt an dieser Stelle besonders) angeblich nur deshalb funktioniert, weil die Schweizer sich vom deutschen Wesen so leicht einschüchtern lassen. Wenn das wirklich so ginge, Integration quasi per bullying der Alteingesessenen, dann wäre es das weltweit einzige Beispiel seiner Art in der Geschichte. Richtiger ist wohl, dass die Schweizer weder auf die Kompetenz der Deutschen noch auf ihr eigenes Überlegenheitsgefühl verzichten mögen, was dann zu Verrenkungen führt, die man sehr schweizerisch per Saldo ausgleichen zu können meint.

     Mag sein, dass der betreffende Artikel aus Schweizer Perspektive als besonders geistreich und witzig empfunden wird, sonst wäre er wohl nicht erschienen. Polenwitze (ein Vergleich der übrigens ausdrücklich angesprochen wird) gelten ja auch in bestimmten Kreisen als Gipfel des Humors. Vielleicht ist man da als Deutscher etwas begriffsstutzig, weil wir ja bekanntlich von Hause aus keinen Spaß verstehen und keinen Sinn für Humor haben. Der mangelnde Lacherfolg mag aber auch damit zu tun haben, dass der Refrain deutlich an Reiz verliert, wenn man die vermeintliche Pointe schon ein paar tausend mal gehört hat.

     Wir kennen diese ewiggleiche Leier von den fiesen Piefkes zur Genüge, und mancher von uns leidet unter der herablassenden Häme gerade weil wir uns peinlich bewusst sind, dass manches den Spott durchaus verdient. Da ist es vielleicht ganz gut so, wenn uns das Feingefühl (angeblich) seit rund hundert Jahren (oder mehr: vielleicht seit Goethe) abhanden gekommen zu sein scheint, sonst wäre dieses Elend womöglich überhaupt nicht zu ertragen. Entsprechend groß fällt dann der Segen aus, wenn wir hässlichen deutschen Entlein es in der Eidgenossenschaft mit einer echten Vorbildgesellschaft von Schwänen jenseits aller Glashäuser zu tun haben, wo man sich auf die ausgesuchte Höflichkeit, die große Rücksichtnahme und überhaupt die tiefe Weisheit der Herzen so unbedingt verlassen kann.

 
 

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