Post #184: Vom Umgang mit der eigenen Dummheit [German]
- Daniel Pellerin

- Dec 12, 2022
- 5 min read
Updated: 3 days ago
27. Mai 2025, Frühstückslobby, Peninsula Hotel, Hong Kong
Inwiefern eigene Dummheiten leichter zu ertragen sind als fremde ist wohl eine Frage über die man trefflich streiten und auch länger nachdenken könnte. Im Fazit dürfte einiges davon abhängen, wie hoch man die eigene leidige Neigung veranschlagt, sich im Ton zu vergreifen, sich im Publikum zu verschätzen oder sich in der Sache zu verirren, zu zerfransen oder gar gänzlich zu versagen.
Dass die Widrigkeiten, die einem im Leben durch die mannigfaltigen Dummheiten anderer entstehen, wahrlich kein Zuckerschlecken sind, sieht wohl jeder so. Dass man die eigenen Verirrungen und Fehler in Form und Inhalt oft noch weitaus teurer und bitterer bezahlt, ist auch nicht gerade ein wohlgehütetes Geheimnis, wird aber in der Regel schon aus Selbstschutz nicht an die große Glocke gehängt.
Im Gegenteil könnte man leicht den Eindruck gewinnen, es im Leben fast ausschließlich mit Menschen zu tun zu haben, die mit der denkbar größten Zielsicherheit operieren und sich, wenn auch bisweilen nicht ganz optimal, zumindest nie dumm verhalten, jedenfalls der vorgegebenen eigenen Meinung nach. Bei Erasmus brüstet sich die feine Dame Stultitia zwar mit größtmöglichem Selbstbewusstsein und in aller Öffentlichkeit; aber dieses Bravourstück des Rotterdamer Vordenkers fällt wohl gerade deswegen so köstlich aus, weil man dabei so gut (und so ausschließlich) über andere zu lachen meint.
Aber wieso eigentlich? Die Dummheiten der anderen stechen zugegebenermaßen besonders ins Auge und werden daher überschätzt, nicht zuletzt um sich selbst in ein vorteilhafteres Licht zu rücken. Aber was früher oder später praktisch alle anderen einzuholen scheint, sollte das einen selbst etwa ganz und gar nicht betreffen? Das wäre zumindest eine kuriose und ziemlich eigennützige Wahrnehmung, zumal wenn man sich besonders viel auf die eigene Klugheit zugute hält.
Richtiger wäre wohl, dass man eigene Dummheiten zwar mitunter erkennt, sie sich aber nur sehr widerwillig eingesteht, oder besser gar nicht. Es mag auch sein, dass einen das zeitgenössische Erwerbsleben geradezu nötigt, allenthalben unerschütterliche Kompetenz vorzugeben, obwohl jeder echte Profi genau weiß, dass es sich dabei bestenfalls um eine Chimäre handelt. (Das Problem der somit quasi obligatorischen Selbstüberschätzung, oder zumindest Vorgabe derselben, wird in Daniel Kahnemans einschlägigen Betrachtungen zu over-confidence—Thinking, Fast and Slow, Kapitel 24—besonders treffend thematisiert.)
Kants berühmter Ausspruch, dass aus so krummem Holz wie dem des Menschen nie etwas ganz gerades gezimmert werden kann, scheint derweil in Vergessenheit zu geraten oder wird wenigstens tunlichst ignoriert. Die gnadenlosen Professionalisierungs- und Optimierungszwänge der schönen neuen Welt unserer Tage—sei es in Form des uferlosen ökonomischen Effizienzdenkens oder des penetranten politisch-moralischen Verbesserertums, das bei den Amerikanern seit dreißig Jahre die alleinige Korrektheit reklamiert und von den Deutschen mit der ihnen eigenen Übertreibungswut und Lust an der Schuld besonders energisch aufgegriffen worden ist—haben wohl an den Wurzeln unseres menschlichen Wesens nicht viel bewegt.
Dass dank der diversen Umschulungen der letzten Jahre und Jahrzehnte wirklich bessere Menschen aus uns geworden wären, hält gewissenhafter Prüfung kaum stand. Für einen nachsichtig-nachhaltigeren Umgang mit der Dummheit hat der geistige Klimawandel im einundzwanzigsten Jahrhundert jedenfalls keine günstigeren Bedingungen geschaffen; da sieht es eher düsterer aus denn je, wiewohl man sich die Freiheiten natürlich einfach nehmen kann, die einem andere nicht zugestehen wollen—solange man den beträchtlichen Preis zu zahlen bereit ist, der dafür üblicherweise erhoben wird.
(Die Aussicht auf künstliche Super-Intelligenzen, die demnächst den Trend auf die Spitze treiben und bald womöglich gar keine Fehler mehr machen werden, sei es in Inhalt oder Form, mag manchen faszinieren; aber menschlich kann man das kaum nennen, sondern eher das konzeptionelle Gegenteil daran festmachen, das heißt, was Menschsein gemeinhin nicht bedeutet und auch nicht bedeuten kann ohne radikal neu zu definieren, was das menschliche Wesen ausmacht.)
Offen bleibt derweil, ob man vielleicht auf die brutale Härte des äußeren Drucks zumindest mit größerer Milde gegen sich selbst reagieren darf oder sogar sollte. Mr. Trump bietet nicht zuletzt in dieser Hinsicht ein besonders bemerkenswertes Beispiel. Ob er sich tatsächlich mehr und gröbere Dummheiten zuschulden kommen lässt als andere ist bekanntlich umstritten und braucht hier nicht geklärt zu werden. Beispielhaft für unsere Zwecke ist der ungezwungen-gelassene Umgang mit seiner eigenen Fehlerhaftigkeit, ein menschlicher, allzu menschlicher Zug, der den öffentlich sichtbaren Donald geradezu bezeichnet.
Was kümmert mich mein dummes Geschwätz von gestern, verkündet der deutsche Volksmund; Trump setzt dem Prinzip der Inkonsequenz mit offensichtlicher Genugtuung die Krone auf. Was zum Beispiel auf den ersten Blick nach eklatanter diplomatischer Entgleisung vor laufenden Kameras aussieht, lässt sich auch als großartiges Fernsehprogramm uminterpretieren, die Empörung als bloßes Unken. Dann gibt man die peinlichen Szenen noch als geniale Verhandlungsführung aus und wird am Ende womöglich als Meister der großen Politik beklatscht. Darüber mag man sich wundern oder begeistert sein, sich ärgern, herzlich lachen oder daran verzweifeln—zu denken gibt es allemal.
Nun könnte man hinzufügen, dass schon einiges an Klugheit erforderlich ist, um die eigene Dummheit überhaupt erst einmal als solche zu erkennen, und dazu eine ziemlich rare Urteilsschärfe gegen sich selbst, um sich derlei Unpässlichkeiten unumwunden selbst eingestehen zu können, geschweige denn sie vor anderen zuzugeben. Wie es damit bei Trump wirklich steht ist schwer einzuschätzen: dass er in besonderem Masse bereit wäre, eigene Schwächen öffentlich einzuräumen, werden wohl selbst seine glühendsten Bewunderer nicht behaupten wollen.
Entscheidend mag sein, ob man für den befreiteren Umgang mit der eigenen Unzulänglichkeit damit rechnen muss, so gnadenlos abgestraft zu werden wie wir wohl alle fürchten, weil die Blöße, die man sich damit gibt, natürlich auch eine erhebliche Verletzungsfläche mit sich bringt. Andererseits schlagen andere erfahrungsgemäß gerade dann besonders beherzt zu, wenn sie meinen, dass einer sich womöglich für unverletzbar halten könnte. Tatsächlich lässt das vermeintlich besonders dicke Fell eher das Gegenteil vermuten. Wo betonte Härte vorgegeben wird herrscht in aller Regel nicht der Übermensch sondern die Überkompensation. “Gesetzten Sinnes sind wir alle nicht,” heißt es nicht von ungefähr in der Dreigroschenoper.
“Erkenne Dich selbst”: dazu muss der Mensch wohl seit Tausenden von Jahren unablässig ermahnt werden, weil es uns an Selbsterkenntnis auch dann (vielleicht gerade dann) immer wieder gebricht, wenn wir uns mal wieder für besonders einsichtig und verständig halten. Wie blamabel und beschämend meine eigenen faux pas immer wieder ausfallen, möchte ich niemandem im Detail darlegen müssen—und das zum Gipfel des Elends auch noch dann, wenn ich eigentlich auf Schadensvermeidung bedacht war und bin.
Die einschlägigen Traditionsformeln zur menschlichen Fehlbarkeit, die dem modernen Menschen als viel zu pessimistisch oder gar deprimierend zu widerstreben pflegen, weil sie mit seinen grenzenlosen Ambitionen kaum zu vereinbaren sind, haben auf mich eher tröstliche Wirkung: kyrie eleison, zum Beispiel, “und vergib uns unsere Schuld,” oder auch sola gratia. Dass nämlich mit dem offeneren Eingeständnis unserer beständigen Verfehlungen im großen wie im kleinen (Stichwort Harmatia: wortwörtlich das wiederholte Verfehlen eines Ziels, wie etwa beim Bogenschießen) auch eine Bürde von uns abfallen kann, liegt dem Genius der Beichte ebenso wie der ursprünglichen Reformation und den Anfängen der modernen Psychotherapie zugrunde. Inwieweit sich daraus ein zeitgemäßer, sachgerechter, menschlicherer Umgang mit der eigenen Dummheit ableiten lässt, sei den Selbstprüfungen des einzelnen überlassen.
Ich bin schon viel zu oft selbst durchgefallen, um noch Gefallen an den Verfehlungen anderer finden zu können. Der Versuchung eines wahrscheinlich mal wieder mangelhaften Urteils kann ich mich trotzdem nicht verlässlich entschlagen, auch wenn es vielleicht besser wäre. Immerhin fällt es mir inzwischen relativ leicht, die Finger vom Richten zu lassen; das Fallbeil würde sie mir nur selbst abschlagen, und den Kopf vielleicht noch dazu. Ob meine Versetzung somit gefährdet bleibt (wohin auch immer), wage ich selbst nicht zu beurteilen. Zumindest entlassen, anfeinden oder ausgrenzen muss man sich im Leben ja Gottseidank nicht selbst. Das übernehmen schon andere, wenn es denn sein muss.